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Der Unterschied von Bewusstheit zu Bewusstsein

Bewusstheit - Bewusstsein: Was ist der Unterschied?

Ein Trickbetrüger hat meine Aufmerksamkeit gestohlen. Während er meine Bewusstheit auf sich lenkt, klaut sein Freund die Rucksäcke hinten aus dem Auto. Ich bin empört. Es ist gemein, meine unschuldige Freundlichkeit so schamlos auszunutzen. Vom Parkplatzwächter höre ich, dass solche Tricks am Bahnhof oft vorkommen: “Die Dinge sind hier halt so. Gut, dass es nur um Geld und nicht um Gesundheit geht”, sagt er.

Ich bin bestohlen worden – war ich bewusst oder nicht?

Irgendwann frage ich mich dann doch, wie es dazu kommen konnte, dass jemand meine Aufmerksamkeit so einfach stehlen konnte. Ich war rundum entspannt und wach gewesen, als mich der tricksende Betrüger ansprach, ich fühlte mich sicher und bewusst. Und doch schaffte er es, mit nur ein paar Worten und einer kleinen Geste meine Bewusstheit zu lenken und alles andere um mich herum vergessen zu lassen. Kein Auto, keine Rucksäcke, nur noch er war im Licht meiner Aufmerksamkeit. Wie ist das möglich, dass ich meine Umgebung so vergesse?

Und da ist sie wieder, die Frage, die mich schon so lange beschäftigt: Was ist der Unterschied zwischen Bewusstsein und Bewusstheit? Ich fühlte mich bewusst in dieser Situation und doch mangelte es an Bewusstheit, die den Vorfall vielleicht verhindern hätte können.

Das Phänomen Bewusstheit

Zunächst einmal: Es ist natürlich, dass Bewusstheit gelenkt wird. Jede Bewegung zieht ganz natürlicherweise Aufmerksamkeit auf sich. Jede Emotion, jeder Schmerz, jede Bedrohung lenkt ganz instinktiv die Bewusstheit zu der Stelle, die nach Aufmerksamkeit ruft. Über Meditation habe ich gelernt, dem Rufen zuzuschauen und nicht sofort und automatisch auf Gedanken, Gefühle oder Bewegungen zu reagieren.

Ich bin also nicht völlig im Automatismus, als mich der Trickbetrüger anspricht, deshalb kann ich ihn nachträglich auch gut beschreiben. Ich habe ihn mit einer freundlichen, inneren Haltung genau wahr genommen und ihm entspannt erlaubt, meine Bewusstheit auf sich zu lenken. War ich deshalb unbewusst?

Bewusstheit und Achtsamkeit sind eins

Heute sagt man zu Bewusstheit auch manchmal Achtsamkeit, es ist das gleiche Phänomen. Jemand geht achtsam, das bedeutet, er lenkt seine Aufmerksamkeit, seine Bewusstheit, auf seinen Gang (oder zum Beispiel auf seine Nasenspitze während des Lesens – jetzt!). Das ist die Übung in der Meditationspraxis.

Jeder Meditierende tut nichts anderes: Er geht achtsam mit seiner Bewusstheit um. Er nimmt wahr, durch was seine Gedanken und Gefühle gesteuert werden, er findet heraus, wie er als individueller Mensch funktioniert. Durch Meditation habe ich erfahren, wie es ist, wenn ich bewusst bin oder wie es ist, wenn ich in Träumen und in Gedanken verloren bin.

Bewusstheit ist lenkbar

Es ist natürlich, dass es dem Trickbetrüger gelingt, meine Bewusstheit auf sich zu lenken. Indem er ein zu lösendes Problem erschafft zieht er meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich werde durch ihn in den Modus ‘Problemlösungsbewusstheit” gebracht: Diese ist eng, zentriert und laserähnlich, wie ich sie von Arbeiten am Computer her kenne, wenn ich nichts anderes mehr wahrnehme als das, was vor mir ist.

Manchmal ist meine Bewusstheit auch weit und sehr feinsinnig, bei kreativen Arbeiten zum Beispiel… Jetzt, in diesem Moment, beim Schreiben dieses Artikels, ist sie beides: feinsinnig und fokussiert.

Bewusstheit ist begrenzt

Bewusstheit hat also ganz unterschiedliche Formen. Wissenschaftler können große Bewusstheit in ihrem Spezialgebiet entwickeln und außerhalb ihres Gebietes ist ihre Bewusstheit völlig unterentwickelt, da wissen sie nicht, wie sie einem Freund zuhören können.

Es gibt geniale Künstler mit großen Werken, deren Leben im totalen Chaos versinkt. Und es gibt auch Menschen, die Bewusstheit in nicht-materiellen Dingen entwickelt haben, sie sind dann Visionäre und Heiler oder Leute mit medialen Fähigkeiten. Auch diese Menschen lenken ihre Bewusstheit und erschaffen dadurch Einzigartiges, oft auch Unglaubliches — doch deshalb müssen sie noch lange nicht bewusst sein.

Wir pirschen uns dem an, was Bewusstsein ist.

Bewusstsein ist umfassender als Bewusstheit

Beflügelt vom nächsten Gedanken, den ich hier schreiben werde, schütte ich den heißen Salbeitee über meine Hose. Ist das nun mangelnde Bewusstheit oder mangelndes Bewusstsein?

Mangelnde Bewusstheit auf jeden Fall. Als ich den Tee in die Hand nehme, ist meine Bewusstheit ganz aufs Schreiben und nicht aufs Tasse-halten ausgerichtet. Ich bin gespalten – in den automatisch handelnden Körper und den inspirierten, wachen, schreibenden Verstand. Bewusstheit kann sich spalten, Bewusstsein nicht.

Bewusstsein ist eins

Meinem Verständnis nach ist Bewusstsein etwas, das Bewusstheit beinhaltet, also etwas Größeres und Umfassenderes ist als Bewusstheit. Etwas, das sich nicht spalten lässt in richtig und falsch, in gut und schlecht, in Bedauern oder Schuld über einen Vorfall am Parkplatz, in Glück oder Unglück über die Verbrennungen eines verschütteten, heißen Tees… Bewusstsein ist jenseits von Dualität, es ist eins.

Jeder Moment, jede Situation ist eine Einheit, die etwas vom ganzen Reichtum des Lebens widerspiegelt. Es liegt an meiner Bewusstheit, wie viel ich davon wahrnehme. In der Situation am Parkplatz kann ich also durchaus bewusst gewesen sein – ungespalten und in Harmonie mit dem, was ich wahrgenommen habe – auch wenn meine Bewusstheit einseitig ausgerichtet war.

Bewusstsein ist natürlich und chaotisch

Ein bewusster Mensch im Sinne von Bewusstsein ist also kein perfekter Mensch, ihm geschehen die gleichen menschlichen Dinge wie jedem anderen auch.

Ein bewusster Mensch im Sinne von Bewusstheit dagegen kann durchaus perfekt wirken – auch ohne das Sein zu kennen, gelingt es ihm über seine Wachheit in bestimmten Gebieten einzigartig genial zu sein.

Im Bewusstsein sind die Dinge wie sie sind

Das Leben am Parkplatz von damals mit Bewusstsein gesehen sieht so aus: Da gibt es freundliche Betrüger und sich schuldig fühlende Unschuldige und sich selbst hassende Betrogene und anteilnehmende, gleichgültige Passanten und weise Parkplatzwächter und kraftstrotzende Polizisten und jede Menge Emotionen, die die Luft noch ein wenig heißer machen, zudem eine Masse von Menschen, die an jenem Sonntag im Bahnhof schnell ans Ziel kommen will und laut und unempfindlich das Geschehen umhüllt.

Es ist so.

Und ich mitten drin, so wie ich eben bin. Mit gerichteter Bewusstheit, dann schwitzend und irgendwann nur noch erschöpft. Manchmal achtsam, manchmal nicht.

Entspannt, bewertungsfrei und aufmerksam leben

Von Osho höre ich, dass allein schon die Frage: Was ist Bewusstsein? in die völlig falsche Richtung führt. Die Frage an sich bedeutet schon, gespalten zu sein in jemanden, der nicht weiß und jemanden, der diesen Zustand verändern möchte, der wissen möchte. Jemand, der lenken und steuern möchte, der die Kontrolle behält und die Bewusstheit erweitern möchte.

Die Lösung: entspannt und freudig leben

Nach Osho gibt es nur einen Ausweg: ekstatisch zu leben. Bewusstsein zu tanzen, zu singen, zu lachen, traurig zu sein, zu atmen, zu sein. Entspannt und freudig zu sein, ohne das Leben zu bewerten sowie wach und aufmerksam zu leben.

Durch Meditation geschieht das Geschenk von Bewusstseins-Erfahrung. Bewusstsein ist ein Geschenk, das man nicht organisieren, kontrollieren oder herbei-meditieren kann. Alles, was darüber gesagt wird ist falsch.

In diesem Sinne endet dieser Artikel hier – ohne für mich wirklich zu enden. Bewusstsein fährt fort, während der Computer zugemacht, die heißen Beine gekühlt und der Salbeitee neu eingeschenkt wird…

Bewusstheit im Alltag

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