Den Verstand kennenlernen – Vortrag über Mindtraining

Dieser Vortrag von Matthieu Ricard ist mir so wichtig, dass ich ihn übersetze und hier zusammenfasse. Zu erkennen, wie der Verstand funktioniert hilft dabei, intelligent mit bedrückenden Emotionen umzugehen.
Matthieu Ricard - den Verstand kennenlernen, Vortrag über Mindtraining

Matthieu Ricard ist Neurowissenschaftler, buddhistischer Mönch, Fotograf und Autor. Sein Ansatz Meditation zu erklären ist von einzigartiger Klarheit und Humor geprägt. In dem nachfolgenden Video beschreibt er 3 Ansätze, wie wir unser Denken trainieren und tiefes Wohlbefinden zu einer Gewohnheit machen können. Es braucht ein wenig Übung, doch es ist möglich, die Achterbahn des Verstandes zu verlassen.

Während dieses Vortrags werden Fotos vom Himalaya und Matthieus Gemeinschaft gezeigt. Nach dem Video habe ich, Samarpan, die wichtigsten Aussagen des Vortrags zusammengefasst.

Wie Wohlbefinden zur Gewohnheit werden kann

 

 

Matthieu Ricard ist buddhistischer Mönch und studierter Molekularbiologe mit Abschluss in Zellulargenetik und Promotion bei dem Nobelpreisträger Francois Jacob am Institut Pasteur.

Auszüge aus dem Vortrag über Mindtraining

In Kürze: 3 Pfeiler des Mindtrainings

Matthieu Ricard beschreibt 3 Möglichkeiten, den (negativen) Verstand zu beeinflussen, bzw. zu umgehen. Die drei Methoden werden in der buddhistischen Meditationspraxis geübt:

  1. Negativität unbeteiligt widerspiegeln
  2. eine positive “Gegen-Emotion” aufbauen, bspw. Mitgefühl
  3. In das Wesen von Emotionen eindringen und sie dadurch auflösen

Das Mindtraining erschafft nicht nur ein zutiefst beglückendes Leben, sondern aus wissenschaftlicher Sicht auch eine Veränderung im Frontalbereich des Gehirns. Matthieu geht in seinem Vortrag kurz auf die Ergebnisse einer Studie mit Langzeitmeditierenden ein.

Über das unbeständige, wechselhafte Glück

Keiner entschließt sich am Morgen, heute möchte ich mal den ganzen Tag lang unglücklich sein. Alles was wir tun ist ein tiefer Wunsch nach Glück. Das gilt selbst für die Selbstmörder. Wenn Glück von uns so sehr herbeigesehnt wird, dann sollten wir besser wissen, was es ist. Weil wir so verwirrt darüber sind, was Glück ist, verwechseln wir beispielsweise Vergnügen und Glück.

Vergnügen hängt von einem Objekt ab oder einem Ort oder einem bestimmten Zeitpunkt, es verändert sich ständig – das liegt in der Natur der Sache. Nehmen wir zum Beispiel einen Schokoladenkuchen; wenn man dauernd nur Schokoladenkuchen isst, dann schmeckt er nicht mehr. Vergnügen verschwindet – meist noch während man es erfährt.

Tiefes Wohlbefinden ist unabhängig vom außen

Glück oder sagen wir lieber, sich wohl zu fühlen, tiefes Wohlbefinden, ist nicht einfach nur eine vergnügliche Angelegenheit. Es ist ein Zustand von Aufrichtigkeit und tiefer Befriedigung. Etwas, das unter allen emotionalen Zuständen liegt, auch der Trauer. Es klingt überraschend: Können wir uns wohl fühlen auch während wir traurig sind? Warum nicht! Denn Traurigsein ist auf einer anderen Ebene.

Wenn du zum Beispiel aufs Meer siehst, dann geschieht dort viel, doch in der Tiefe passiert nichts. Sich wohl zu fühlen ist also ein Zustand des Seins und nicht eine vorbeiziehende Emotion.

Das Denken übersetzt (falsch)

Wie sollen wir vorgehen, wenn wir uns derart wohlfühlen wollen? Sehr oft schauen wir nach außen, nach den Umständen, wir wollen alles haben, das uns glücklich macht. Wenn, was wir uns wünschen nicht da ist, dann bricht alles zusammen. Doch wir können die Umwelt nur bedingt kontrollieren. Die inneren Umstände wirken viel stärker. Es geht um die Art, wie das Denken die Umstände übersetzt.

Wir können uns im schönsten Paradies befinden und total unglücklich sein. Selbst wenn du in dem elegantesten Appartement ganz oben wohnst, doch wenn du innen unglücklich bist, dann suchst du nur ein Fenster, aus dem du hinausspringen kannst.

Wir kennen auch das genaue Gegenteil: Menschen, die sich in schwierigen Umständen befinden und Aufrichtigkeit, innere Stärke und Vertrauen ausstrahlen. Natürlich beeinflussen die Umstände auch das innere. Das Außen bietet jedoch nur hilfreiche Bedingungen, doch der Übersetzer der Situation ist der Verstand.

Experimentieren mit “Was gut tut”

Wie können wir also innere Bedingungen nähren, die uns glücklich machen?
Dafür braucht es Erfahrung. Wir müssen selbst die Erfahrung machen, in welchem Zustand des Verstandes etwas in uns erblüht. Es gibt Dinge, die dem entgegenstehen: Ärger, Hass, Eifersucht, Arroganz, obsessives Verhalten... diese lassen uns in keinem guten Zustand zurück. Wir sind unglücklich.

Umgekehrt haben wir alle die Erfahrung gemacht, dass zum Beispiel Großzügigkeit mit unserer Natur harmoniert und uns mit einem gutem Gefühl zurücklässt.

Ist es also möglich, unseren Zustand zu verändern, den Zustand unserer Verstandes? Dazu muss man erst einmal erkennen, was die Natur unseres Verstandes ist. Der Verstand hat die grundlegende Fähigkeit bewusst zu sein, denken zu können, wahrzunehmen. Bewusstsein ist wie ein Spiegel, der es erlaubt, dass sich alle Bilder in ihm spiegeln. Schöne Bilder und hässliche, der Spiegel erlaubt alles.

Der Spiegel bleibt immer gleich, er ist nicht beeinflusst von den Abbildern. Genauso ist es mit dem Verstand und Bewusstsein. Bewusstsein ist immer da, es kann nicht durch Eifersucht oder Hass verändert werden.

Mindtraining mit positiven Gegenmitteln

Das ist der Boden für Mindtraining – das Trainieren des Verstandes. Mindtraining beruht auf der Erkenntnis, dass zwei gegensätzliche Faktoren nicht gleichzeitig präsent sein können. Du kannst von Liebe zu Hass gehen, doch du kannst nicht jemandem die Hand geben und ihn zur gleichen Zeit schlagen.

Es gibt also ein natürliches Gegenmittel für zerstörerisches Verhalten:
Sich freuen <—> Eifersucht
Sinn für innere Freiheit <—> sich obsessiv an etwas anhalten
liebevolle Freundlichkeit <—> Hass…

Im Mindtraining, in der Meditationspraxis, wird jeder Emotion das passende Gegenmittel entgegengesetzt.

Ein allgemeingültiges Gegenmittel:
die Natur des Verstandes erkennen

Anders gesehen könnte es ein allgemeingültiges Gegenmittel für alle Emotionen geben. Deshalb betrachten wir einmal die grundlegende Natur von Unglücklichsein. Wenn wir bsp. von etwas oder jemandem besessen sind, dann geht unser Denken, unser Verstand ständig immer wieder zu dem Objekt hin, was die Obsession noch verstärkt. Das ist ein Prozess, der sich selbst ständig immer wieder erneuert.

Was wir also tun müssen, ist anstelle nach außen zu sehen, nach innen zu schauen. Auf die Wut selbst zu schauen. Das ist so, als ob wir uns eine Gewitterwolke ansehen. Wenn wir genau hinschauen, dann ist sie einfach nur ein Dunst ohne Konsistenz. Genauso ist es mit der Wut. Sie verschwindet, wie der Frost in der Morgensonne.

Die Tendenz der Wut, sich immer wieder selbst zu nähren wird immer weniger, mit jedem Mal, wo du sie aufgelöst hast. Und am Ende fliegt die Wut nur noch wie ein weit entfernter Vogel vorbei, der keine Spur mehr hinterlässt. Das ist ein Grundprinzip des Mindtrainings. Dazu braucht es Zeit.

Studie mit “olympischen” Meditierenden

In einer Studie mit “olympischen Champions of Mindtraining”, (das sind Menschen, die täglich bis zu 12 Stunden meditieren) wurde bewiesen, wie Meditation das Gehirn beeinflusst. Die Meditierenden wurden gebeten, sich in einen Zustand von Mitgefühl und liebevoller Freundlichkeit zu versetzen und dabei wurden ihre Gehirnströme gemessen. Dabei wurde der Unterschied vom rechten zum linken vorderen Gehirnlappen festgehalten.

Menschen mit Aktivitäten im rechten vorderen Gehirnlappen sind eher depressiv und zurückgezogen und können nur wenige, positive Emotionen beschreiben. Im Gegensatz dazu diejenigen mit Aktivität im linken Gehirnlappen: Diese sind eher glücklich, neugierig und drücken sich gerne aus. Wenn wir einen lustigen Film ansehen, dann wechseln wir zur linken Seite, wenn bedrückt zur rechten Seite. (Im Vortrag ist die lila Kurve von normalen Menschen)

Die Meditierenden hatten Werte von -4,5 — ihre Gehirnaktivität auf beiden Seiten ist so gering, dass sie nicht auf dem Chart zu erkennen ist.

 

Mindtraining matters

Den Verstand kennenzulernen, das ist das Wesen der Meditation. Es bedeutet, mit den Mechanismen des Verstandes vertraut zu sein. Mindtraining matters, es bestimmt unsere Lebensqualität. Wir sind bereit, 50 Jahre alles mögliche zu lernen, wir joggen, wir kümmern uns um unsere Gesundheit und um Schönheit, doch ist es erstaunlich, dass wir so wenig Zeit dafür verwenden, was die größte Bedeutung für unser Wohlbefinden hat: zu verstehen, wie unser Verstand funktioniert.

Zusammengefasster Vortrag von Matthieu Ricard bei TED, 2008

 

 

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Mind-Training: den Verstand kennenlernen

 

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